Warum sich also zwingen lassen, viel herumzureden, überflüssig oder gar spekulativ herumzuerläutern, die „Referenzen“ mit okkasionellem Schmutz zu bewerfen?
Wir sehen, - wie Derrida – dass es den Radikalpositivismus dieser Art in den Wissenschaften strenggenommen nicht gibt. Die „Referenz“ in diesem Sinne ist meistens – man würde sagen, vernünftigerweise – Mittel zum Zweck, nur Stützpfeiler einer neuen Textwoge, Theorie, ihrer Sprachwelle. Radikalpositivisten, die im Colloquium nur „referieren“ bzw. ihre Referenzen vorlegen, sind längst in die Kunst verwiesen. Dort nämlich herrscht, insbesondere in der Gegenwartskunst, das reine kommentarlose Herumzeigen vor, das von VermittlerInnen, RezipientInnen oder auch den KünstlerInnen selbst umhüllt werden kann in Versuche, es auch symbolisch mit sich fortzutragen und in beliebige Kontexte zu verschleppen. Die ästhetischen und kunstinternen stellen, aus dieser Sicht, nur ein besonders dichtes Feld dar, sind aber ansonsten gegenüber dem Prinzip des Herumzeigens als dem Manifestem in der Kunst, nicht offensichtlich privilegiert.
Jetzt könnte man behaupten, der Vergleich, es handele sich bei Gegenwartskunst um lediglich irgendwo entfernte Objekte, die im Rahmen von entsprechend als Kunstereignis deklarierten Zusammenkünften vorgezeigt werden, scheitere an der Kreativität der KünstlerInnen, die schließlich eigene Werke schüfen und sie nicht einfach nur aus dem Regal nähmen.
Doch wie auch Pasal Unbehaun seine Überlegungen zum Begriff der referenziellen Kunst gerade an Gegenwartskunst verankert, die exakt nur in der von Derrida beschriebenen Weise „verschleppt“, ist es neben der allgemeinen Etablierung von Kunstwerken, die ihren eigenen Gestaltungsimpuls wohl als minimale Formgebung im Sinne der oben erwähnten „schriftlichen Ausarbeitung“ sähen, zu einem fast dominanten Zug der Gegenwartskunst geworden, nur noch „anzuordnen“, bereits (eigentlich andernorts) vorhandene Objekte (oder, etwas extremer, Ideen) in einem neuen Colloquium vorzuzeigen. Kunst, die ausdrücklich so verstanden werden soll, nennt sich „Appropriation Art“.
Im unhintergehbaren Universallexikon Wikipedia findet sich eine Definition, die einer gewissen Bemühtheit nicht entbehrt:
Appropriation Art (englisch "appropriation" = Aneignung), auch deutsch gesprochen Appropriation, ist eine Ausdrucksform des zeitgenössischen künstlerischen Schaffens. Sie wird meist der Konzeptkunst zugeordnet, weil das Verständnis der zugrunde liegenden Überlegungen und Theoreme wichtig für ihr Verständnis ist.
Im engeren Sinn spricht man von Appropriation Art, wenn Künstler bewusst und mit strategischer Überlegung die Werke anderer Künstler kopieren, wobei der Akt des Kopierens und das Resultat selbst als Kunst verstanden werden sollen (andernfalls spricht man von Plagiat oder Fälschung).
Im weiteren Sinne kann Appropriation Art jede Kunst sein, die sich mit vorgefundenem ästhetischem Material beschäftigt, z. B. mit Werbefotografie, Pressefotografie, Archivbildern, Filmen, Videos etc. Es kann sich dabei um exakte, detailgetreue Kopien handeln; es werden aber auch oft in der Kopie Manipulationen an Größe, Farbe, Material und Medium des Originals vorgenommen.
Diese Aneignung geschieht in der Appropriation Art meist in kritischer Absicht. Ohne diese kann man auch von einer Hommage sprechen.
Die Angst, Falsches zu sagen oder Begriffe nicht hinreichend „differenziert“ zu sehen, konfligiert in diesen Erläuterungen mit dem Gegenstand der Analyse und wirkt so durch den penälerhaften Stil eher trivialisierend. Besonders auffällig ist, wie die klassische Kraft der Appropriation Art im Sinne des Derrida'schen Referenz-Begriffs durch die vorschnelle Klassifikation als Konzeptkunst ausgehebelt wird. Ferner trägt zur trivialisierenden Einordnung in das sich kreislaufgerecht fortspinnende, sich nur plätschernd wandelnde Flüsschen der Kunstentwicklung bei, dass sich in dieser Darstellung die zeitgenössische Appropriation Art durch 'Vorläufer' wie die dadaistischen und surrealistischen Objets trouvés auf eine Zuspitzung des bereits Bekannten reduzieren lassen muss.
Zu betonen wären in diesem Rahmen jedoch viel mehr die Unterschiede. Denn was die Appropriation Art von klassischen Bezugnahmen von Kunst auf Kunst unterscheidet – die der Wiki-Artikel ebenfalls subsumiert – ist, dass die „aneignende“ Kunst nicht konkurrierend Bezug nimmt. Individuelle Bezugnahmen von KünstlerInnen auf Werke von KollegInnen, Vorgänger und Vorbilder, sind innerhalb jeder noch so klassischen Disziplin in den Künsten üblich und quasi schon durch die Schulenbildung, die handwerkliche Basis des Berufs und die lange Tradition in kirchlicher, höfischer oder individuell-marktorientierter Programmatik tatsächlich Standard – man denke z.B. an Variationen der „Allegorie der Malerei“ oder selbst Kunststückchen wie die Darstellungen von Spiegeln und Lichtreflexen.
„Referenzen“ in diesem Sinne erfüllen den Zweck, dass man kein weniger wertvolles oder preiswertes Werk liefert, als es ein(e) Konkurrent(in) geliefert hätte. Der Weg von diesen Referenzen zu den Derrida'schen, die die offensive Kraft der gegenwärtigen Appropriation Art benennen, führt gerade nicht über den theoretischen Zweig, sondern über den klassischen Aspekt der Anschauung.
Die Anschaulichkeit des Referierens kennen kunsttheoretisch Interessierte von einem bedeutenden Kunstästheten der klassischen analytischen Philosophie. Die analytische Philosophie pflegt den Begriff „Referenz“ eigentlich in seiner höchsten logisch-semantischen Strenge (als extensionalen Objektbezug im Gegensatz zu den intensionalen, sprachlichen Bezügen – zu verstehen an Freges Unterscheidung zwischen dem Himmelskörper (Extension, Referenzgegenstand) und dem Erscheinungsbild am Morgen- oder Abendhimmel („Morgenstern“ und „Abendstern“ als unterschiedliche Intensionen für dasselben Objekt, auf das der Ausdruck „Venus“ (als Ausdruck für einen Planeten) extensional referiert).
Der Vertreter der ästheto-logischen Wende ist aber weder Frege noch Wittgenstein sondern Nelson Goodman und dessen Schülerin, Nachfolgerin, geistige Erbin Catherine Elgin. „Referenz“ findet sich in der Kunst, so Goodman, quasi auf den Kopf gestellt. Sie richtet sich nicht von der Sprache auf ein Objekt (so wie es der Brockhaus will) sondern von einem Objekt auf die Sprache. Das Objekt gibt eine Anschauung von einem sprachlichen Ausdruck, einer sprachlichen Konvention, einem sprachlichen Mittel. Naheliegenderweise öffnet sich mit dieser umgekehrt-referenziellen, rückverweisenden Funktion das sprachliche System für solche Anschauungsobjekte.
Doch ach! Unseelige Vorläufer stellen sich hier rasch in den Weg. Die blökenden Unschuldslämmer der Ostensionobjekte und -situationen [vgl. Herder, Über den Ursprung der Sprache] wollen auch in diesem kuscheligen Sprachstall übernachten, wenn die Umkehrungen der Referenz es denn dürfen! Inwiefern sind die „Muster“ Goodmans denn bitte etwas Besseres?