Bildende Künstler

Die Wise der Fische



Text von Ulrike Ritter

Die Zeit, 16.09.11 S. 39
Die Zeit, 16.09.11 S. 39
Szene aus dem Film "Camille Claudel"
Barry's Temple of Godzilla „Artworks“, godzillatemple
Und der Aal – oder anderer Fisch. Indonesischer Thunfisch behauptet von sich, er sei erstens keine Gefahr für den Delphin, zweitens nicht von den japanischen Eskapaden betroffen. Glauben wir das? Die Regionen sind nicht wirklich weit entfernt voneinander, im Meer verteilt sich viel. Das Datum des Fangs steht nicht auf der Dose.... lieber weg damit. Nordsee – Atlantik. In den schlauen Wochenzeitschriften las ich und hörte es im Fernsehen, dass man auch im Nordatlantik immer mal wieder erhöhte Richtwerte bei den Fischfängen gemessen hätte. Diese hätten aber immer unter den Richtwerten gelegen, bei denen man von einer gesundlichen Bedrohung sprechen kann. Also, selbst wenn ich jetzt den Lachs mitnehme oder einen verdammten Rollmops, bilden sich nicht schon bis zum nächsten Wochenende Tumore und Metastasen. Na klasse! Und selbstverständlich ist selbst das nicht mehr.. Bei der Sushisoße muss ich schon höllisch aufpassen und an die Repräsentativität von Stichproben glauben. Obwohl ich ja gerade erfahren habe, dass z.B. in Bayern die Stichproben noch immer komplett unterschiedliche Ergebnisse liefern können – mal ist ein Reh verstrahlt, mal nicht. D.h. aber doch, dass die einzelnen Stichproben nichts aussagen. Repräsentativität setzt natürlich Gleichverteilung voraus. Die nicht gegeben ist. Mit etwas Pech isst man heute noch mit schlechtem Gewissen bayerischen Rehbraten mit Preiselbeeren und lässt sich einige Tage später schon in der nächsten Arztpraxis nieder, über seltsame Symptome klagend....

Der Einkauf, noch vor wenigen Monaten in den Medien als Überforderung des Konsumenten und somit auch als semiwissenschaftliche Studie zu Preisvergleich und professioneller Nutzenoptimierung im Alltag zwischen Netto, Aldi, Rewe, BioMarkt und dem edlen Naturkostladen quasi gefeiert, wird jetzt wirklich zur Tortur: Wie in den Environments von Erwin Wurm stehen die ängstlich um ihr Konto und ihr Leben bedachten Kunden vor einem Angebot, das nicht nur auf Preis und Kalorien geprüft werden muss, sondern nun noch auf Herstellungs- und Verpackungsdatum, auf den exakten Herkunftsort und seine Nähe zu den realen und empfohlenen Schutzzonen und schließlich noch auf die Akzeptabilität der mit dem Verzehr mehr oder weniger wahrscheinlich verbundenen Gesundheitsrisiken. Es ist offensichtlich ein schrecklicher Irrtum, dass nur Zigaretten und andere Tabakwaren die Aufschrift „ XY [alt: Rauchen / Verzehr] kann tödlich sein“ verdienen. Unterlassen werden ja auch Hinweise auf Alkoholmissbrauch und gentechnische Manipulationen von Gemüse etc. - nur diese Risiken kennt man immerhin oder meint zumindest, sie einigermaßen abschätzen zu können. Nun kommt eine neue Qualität dazu: Das russische Roulette mit der Strahlenbeere, dem quecksilbrig-atomar leuchtenden Thunfisch, dem nur scheinbar harmlosen Rollmops. Da sehnt man sich doch nach einem mit Gentricks produzierten Schweinefleischklumpen unnd Kopf und Gefühl, der blitzschnell mit Nahrungsergänzungsmitteln und medizinischen Produkten aufgedunsen und dann in Scheiben an den Handel verteilt wird, in abgeschirmten Metzgerhallen keine Chance hat, Radioaktivität in irgendeiner Form aufzunehmen...? Naja, nicht unbedingt – noch müssen ja lebendige, eigentlich fühlende und nahezu denkende Lebewesen leiden, nette Schweine, Rinder, Kühe, Kälber etc.. Welche Paradoxien im Konsumentenverhalten nun entstehen:

„Hä? Warum sind die Erdbeeren denn so billig? Haben Sie mal einen Geigerzähler hier? Die sind doch mit Sicherheit über dem Grenzwert. Haben Sie auch welche für den 2,5 fachen Preis ? Und bloß nicht Bio. Da ist der ganze Humus aus den radioaktiven Wäldern in der Erde. Und die leben ja nicht in Welten, in denen man mit Geigerzählern herumläuft, die Biobauern. Also bitte: Gentechnische, schnelle Gewächshausbeeren ohne Bodenkontakt und zum dreifachen Preis für eine Stichprobengarantie“. Die Verkäuferin, geschult-ungeschult: „Hä?“ usw.

Der Ruf ertönt, nach mehr Verbaucherinformation doch zumindest: Dieser Fisch hat schätzungsweise xx Becquerel, nach EU-Norm stellen xy Becqeurel eine gesundliche Bedrohung dar. Dann kann man zählen und in den Einkaufskalender eintragen, wie viel man wann gegessen hat und wie sich entsprechend die überschüssigen Becquerel summieren, ab wann also, nach der Halbwertzeit-Formel, die Anreicherung des gesund ernährten Körpers mit einer lebensbedrohlichen Menge radioaktiver Stoffe erreicht ist. Schon RealschülerInnen ab der 10. Klasse können also im Prinzip solche Verbrauchertagebücher führen und werden so durch unser hervorragendes Bilduungssystem in die Lage versetzt, verantwortliche Kaufentscheidungen zu treffen !

Aber auch ohne Etikettenschwindel, - ein Problem ist die gegenläufige Dynamik der Reaktionen in Kultur und Natur: Der Meer reagiert langsam. Radioaktives Wasser aus den zerstörten Reaktoren dringt ins Meer und verbreitet sich dort allmählich: Fische, Korallen, Wolken, Wellen, Wale, Seevögel schleppen es mit. Einmal in der Nahrungskette, kann das radioaktive Übermaß, sei es denn gering, beliebig reisen. Die Zerfallszeit ist eben leider lang. Einige von uns fürchten schon die kontrollierte Manipulation genetischen Materials, die mittlerweile bei normalem Obst und Gemüse ja Gang und Gebe ist. Nun kommt die zellverändernde Kraft der alpha-Teilchen dazu. Und schon sind wir im Godzilla Krimi. Um Tschernobyl herum untersuchen Forscher seit Jahren die Veränderungen von Pflanzen und Tieren. Einzelne Wölfe werden gekennzeichnet und regelmäßig untersucht. Bei den Nadelhölzen von Tschernobyl wurden bereits genetische Veränderungen festgestellt – das betrifft dann zuerst einmal eine Veränderung äußerlicher Merkmale, z.B. der Farben:

„Als Vergleichsbäume dienten jeweils gleichaltrige Kiefern gleichen Ursprungs, die in unbelasteten Gebieten der Ukraine wachsen. Wie die Wissenschaftler herausfanden, wachsen die Kiefern um Tschernobyl langsamer und zeigen vielfältige Abweichungen vom normalen Wuchs eines Nadelbaums wie beispielsweise Nadelverfärbungen oder geänderte Verzweigungsmuster.“

http://akademieintegra.wordpress.com/2011/04/21/baume-reagieren-mit-genetischer-anpassung-auf-extrem-hohe-radioaktivitat/

Wir kehren jetzt allmählich zurück zu den Anfängen dieses Kunstbriefes. Die Stimmlage der Wale, die sich der Entfernung der Walkühe von ihren Männchen anpasst – die Farben der Meerschweinchen – die Liebe in den Zeiten der Cholera....



Soeben berichtete die Zeit auch über schöne Bildbände von den untersten Ebenen der Meere und ihren Erscheinungsbildern, den Schmuck- und Tarnfarben der Meerestiere, von Seevögeln und Wesen am Meeresrand und - grund. Wichtige genetische Informationen, die man quasi kinderleicht und durch naivste Berechnung in der Tierzucht und -hobbyzucht einsetzt, konstituieren diese Farbspiele, Haut- und Fellbeschaffenheit, Stimmumfang und Bewegungsvermögen. Solche Eigenschaften sind die Gesundheit sichernde Anpassungen an eine warme oder kalte, trockene oder feuchte Umwelt, sowie überlebenswichtig als Tarnung vor Feinden und als gefälliges Lockmittel für Partner.



Atomkraftgegner liebten schon immer Szenarien im Stile Godzillas – Menschen mit Elefantenrüsseln im Gesicht, unbrauchbare Körperwülste etc. Aber schon viel harmlosere, oberflächliche Würfelspiele der Genetik reichen aus, um das natürliche Gleichgewicht der Arten fundamental zu bedrohen: Pinguine sind nicht nur hübsch mit ihrem schwarzen Rücken und weißen Bäuchlein. Der weiße Bauch tarnt sie auch beim Fischfang. Auf der Wasseroberfläche erscheinen sie, von unten gesehen, wie das Sonnenlicht und bilden keinen, auffällig nach Haifisch- oder Walfutter aussehenden schwarzen Punkt. Den stellt aber ihr Rücken dar, der in der dunklen Arktis auf dem Meer von oben bzw. außen gesehen dann wiederum keinem Eisbären so leicht auffällt. Verteilt sich nun aufgrund einer minimalen genetischen Deformation das Schwarzweiß des Pinguins punktartig über seinen ganzen Körper unnd vermischt sich zum Apfelschimmel-Fell, ist es um diese Tierfamilie geschehen. Die Eisbären, wenn es sie dann noch gibt, müssten so zwar einige Zeit nicht mehr hungern, werden sich aber nach einigen Jahren fragen, wo denn die netten pinguinähnlichen Straziatella-Sandwiches noch zu haben sind....

Das Meer also, insgesamt, durchzogen und überflogen von Walen, Seevögeln und anderen Tieren, die zum Teil nur Biologen kennen, wird sich irgendwie ändern. Das dauert natürlich – die ersten Spuren sind vielleicht erst sichtbar, wenn man den Supergau bereits wieder vergessen hat. Sie interessieren dann noch Biologen und andere Wissenschaftler, solange, bis wieder ein Kernkraftwerk, explodiert oder sabotiert, die Unzulänglichkeit der Sicherheitsapparaturen beweist.



In Tschernobyl bieten die Zivilisationsreste der von Menschen komplett verlassenen Region den Wölfen zwar keine gesunde Umgebung, aber Sicherheit und Freiraum, zudem wohl auch hinreichend natürliches Futter – wie Ratten ? - das sich dort aus ähnlichen Gründen gut verbreitet. Irgendwann also entstehen Märchenwelten abgeschlossener Räume „des Bösen“ - das Schneewittchenschloss, das Labyrinth des Minotaurus oder das Hotelzimmer 132 aus dem Horrorfilm „Shining“ - von denen wir aufgrund unserer literarischen Kodierung annehmen, die Grenze dieser Räume und Zonen sei von magischer Dichte, sie existiere überhaupt – das wird jedoch im Fall von atomarer Kontamination immer eine rein verwaltungstechnische Festlegung von Grenzwerten sein.

Anders als man es sich im Kalten Krieg erhoffte, sind die Zonen nun, nach Japan, auch nicht mehr politisch überlagert. Arno Schmidt warnte spöttisch bereits mit seiner Erzählung „Gelehrtenrepublik“, die mit dem Austausch von Menschen- und Windhundhirnen das wilde Jonglieren mit Erbinformationen vorwegnahm. Das Motiv des Gazellenmädchens im quasi östlich-ddr-lerischen Raum zwischen Republik innen und außerhalb „der Zone“ zeigte ihn noch, wie er vergnüglich zwischen erotisierender Metapher und animalischer Männerfantasie schwankte. Also Fantasie. Und schöne Monster dieser Art werden wir vielleicht nicht. Aber z.B. Pigmentschäden. Oder falscher Haarwuchs auf den Handrücken: Werwolf statt Godzilla-Gorilla – dh. - nicht mal Primat !; Lichtunverträglichkeit; knochentrockene Schleimhäute. Andere monströse Veränderungen bei zukünftig Geborenen, deren Eltern dann zu allem Überfluss auch noch an Krebs sterben, weil sie sich ihr Leben lang 'gesund' ernährt haben, zwei Stunden täglich über ihre Lebensmittelkäufe nachdachten.....

Fraglich, ob, wenn der schleichende Becquereltransport quer durch die Natur uns erreicht hat und sich auf unserer Haut etc. niederschlägt, überhaupt noch ein Bezug zu dem Unfall in Fukushima hergestellt werden kann. Die Bundesregieung machte sofort informationell mobil http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Japan/Lebensmitteln/lebensmittel.html

Aber jetzt besteht natürlich weniger Gefahr, als in einigen Jahren, wenn sich die Verstrahlung ausgebreitet hat und die Stichproben so unberechenbar werden wie die aus bayerischen Forstgründen.

Godzilla legt auch das Maß des Katastrophalen fest, das erforderlich ist, um unsere Gemüter aufzumischen, echte Angst und Nervosität entstehen zu lassen. Da die Medien ohne sensationelle Ereignisse und natürlich aufgrund von mangelnder Investigation, irgendwann demnächst auch keinen Anlass mehr haben, über die tatsächliche Situation zu berichten – außer vielleicht in Hausmagazinen von Umweltorganisationen - kann das Verbraucherbewusstsein, ohnehin ständig durch Preisvergleiche überfordert, wieder auf null Becquerel sinken. Die Kontrollen der Importe enden dann zeitgleich aus eben diesem Grund der mangelnden öffentlichen Aufmerksamkeit, und dem Ausbleiben von skandalösen Kontaminationsfällen. Wo keine oder nur beschönigende Berichterstattung ist, wenn sich genetische Umwandlungen unter Wasser verstecken und Zusammenhänge in den Regalen der Vertriebs – und Handelsstrukturen, der Mischprodukte und mangelnden Kennzeichnung unsichtbar werden, reduziert sich Fukushima und die Kontamination von Lebensmitteln schnell auf eine Randbemerkung wie „Der Verzehr kann tödlich sein“ - nur kleiner und weniger explizit als „Rauchen kann tödlich sein“, wenn überhaupt. Denn wir müssen dann ja, ohne es zu wollen, trotzdem täglich „zur Zichte“ greifen. Mit Schrecken theoretisieren wir aus dem Bauch heraus, dass eine solche Aufschrift verbunden mit einer gezielten Preispolitik vielleicht sogar verkaufsfördernde Wirkung hätte: Unmittelbar nach dem Zigarettengenuss tot umgefallen ist ja noch keiner. Vielleicht irgendwann Krebs, aber jetzt erst einmal vier Euro gespart im Vergleich zu Schlabbertofu..... Fügt es den allgemeinen Ängsten um die Gesundheit etwas hinzu? Vielleicht, weil und wenn täglich so eine Aufschrift auf unserem Tisch herum leuchtet. Wir wissen nicht, wieviel – Becquerel, innere Ruhe, Todesangst, Lust...... Wir fragen die Verkäuferin oder den Verkäufer: „Ist das schlimmer als bei den Zigaretten?“ „Hä? Keine Ahnung. Wir bekommen die Ware so.“ „Ah so....“.

Kann das Wissen um den betrügerischen Schein der Unschädlichkeit und Normalität uns den Geschmack wirklich verderben? Vielleicht setzt es wirklich subtiles ästhetisches Empfinden – die ständige Schulung an Werken der Kunst ! Ja! Ha! - voraus, wenn wir hoffen können wollen, dass der Kontaminationsgehalt an Lebensmitteln und Umgebung irgendwann quasi instinktiv als Belastung empfunden wird. Wenn wir wie auch immer zustandegekommenes oder irgendwo übriggebliebenes klares Wasser, unkontaminiert, als seltenes Labsal empfinden. Als belebenden Quell im Kontrast zur verstrahlt-vergifteten Soße.



Mephisto, spöttisch den Konsumenten imitierend: „Doch wo quoll es hervor? Wo ist die Quelle? In Bayern? Ist da Wald da herum? Welche Belastung? Hm... schnell mal im Tagebuch blättern. Kann ich heute nicht mehr trinken, tut mir Leid. Sieht so frisch aus, das heilige Quellwasser. Ach du lieber Gott. Du liebe Güte. Alles ist hin :)“

Man wird sich dann, ausgelöst endlich durch Ekel, natürlich viel zu spät Gedanken machen über den Sollstand auf dem Konto der kulturellen Energiegewinnung.
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